3.95 Siemens, Berlin 

 

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Werner Siemens bekundete bereits als Betriebsoffizier der königlichen Artilleriewerkstatt besonderes Interesse für technische Neuerungen und gründete zusammen mit dem Universitäts­ Mechanikus Johann Georg Halske 1847 die „Telegraphen ­Bau­ Anstalt von Siemens & Halske“. Siemens diente noch während der März­ Revolution 1848, erst nach seiner Verabschiedung im Herbst 1849 konnte er sich ganz der Firma widmen, die inzwischen von Halske geleitet worden war.

Siemens & Halske waren zwar nicht alleinige Hersteller von Telegraphie­ Anlagen, zählten aber zu den Bedeutenden. Schon Mitte des 19. Jahrhunderts arbeiteten Telegraphen dieses Fabrikats in Russland und England. Ein halbes Jahrhundert später wurde im Hause S. & H. nicht nur die Tantal ­Glühlampe erfunden; Siemens widmete sich auch der Röntgentechnik und schließlich der Funken­Telegraphie.

Siemens und die Funktechnik waren eng mit dem Namen eines Straßburger Universitätsprofessors verbunden. Schon 1897 hatte er die Kathodenstrahlröhre erfunden, 1898 führte er den geschlossenen Schwingkreis in die Funktechnik ein: Professor Ferdinand Braun. Als einem der profiliertesten Wegbereiter der Funktechnik wurde ihm 1909 – zusammen mit Marconi – der Physik ­Nobelpreis zuerkannt.

Braun war nicht nur als Erfinder aktiv, er wollte seine Patente auch in klingende Münze verwandeln. Eine Auflistung der zahlreichen Firmen­ Konstellationen, die er schon initiiert hatte, bevor er endgültig bei Siemens landete, würde den Rahmen dieser kurzgefassten Geschichte sprengen. Es soll jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass es „Schokolade“ war, die Brauns Funktechnik auf die Sprünge half. Mit ihr verdiente der ideenreiche Kölner Kommerzienrat Ludwig Stollwerck (welcher dann 1903 die mit Schallrillen geprägten „Schokolade­ Schallplatten“ samt Kindergrammophonen in den Handel brachte) das nötige Geld, um die Anfänge der „Telebraun-Gesellschaft“ zu finanzieren. Nach und nach wurde die „Gesellschaft für drahtlose Telegraphie“ in den Siemens ­Konzern eingebunden, der sie dann vollständig erwarb.

 

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Inserat aus: „Funkalmanach“, 1924

 

Um die Jahrhundertwende unternahm Dr. Jonathan Zenneck, damals Assistent von Prof. Braun, die Außen Funkversuche an der Nordsee – in Konkurrenz zu den Berliner AEG Versuchen an der Havel. Die beiden Firmen lagen miteinander im Streit. Damals jedoch war es noch möglich, dass der deutsche Kaiser ein Machtwort sprach, worauf 1903 die Braun-Siemens Gesellschaft neben der funktechnischen Abteilung der AEG in die neue funkentelegraphische Tochterfirma Telefunken eingebunden wurde.

Bedeutende Fortschritte konnte das Haus Siemens auch auf dem Gebiet der Röhrentechnologie vorweisen. Zurückgreifend auf die Erfahrungen bei der „Tantal“ ­Glühlampenfertigung trug Walter Schottky 1914 wesentlich zur Entwicklung betriebssicher arbeitender Röhren bei. Für die Zweigitter­ Systeme wurden ihm 1915/16 Patente zugesprochen. Die Telefunken­ Röhren produzierte ab 1920 das Siemens ­Osram Werk.

Den Aufzeichnungen in „Der Deutsche Rundfunk“ entsprechend erhielt Siemens die RTV-Zulassung im Januar 1924. Die Erstzulassung: der Einröhren-Primärempfänger Rfe 1 war aber schon Ende 1923 auf dem Markt. Weitere Komponenten (HF- und NF-Verstärker) ergänzten das Audion – zusammengekoppelt ergeben sie den legendären „D ­Zug“. Rfe wurden die Empfangsgeräte genannt, Rfv die Verstärker, Rfh die Kopfhörer, Rfl die Lautsprecher und Rfz die Zubehörteile.

 

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Der Siemens D-Zug

 

Der berühmteste aller D-Züge kam von Siemens. Hier steht er in drei Teilen. Der Grundbaustein ist das Audion Rfe.1 (Mitte); es ist für Kopfhörerempfang des Ortssenders geeignet. 1923/24, als dieses Gerät mit RTV ­Zulassung auf den Markt kam, war die von außen einstellbare Rückkopplung noch nicht zulässig, bzw. nur in den Grenzen jenseits der Oszillation. Auch die hier eingebaute, zusammen mit der Abstimmung nachgeregelte Rückkopplung (in der Innenaufnahme des Rfe.1 ist der Exzenter mit Hebel erkennbar) hatte nur geringe Wirkung. Wer einen Lautsprecher betreiben wollte oder so viele Kopfhörer wie hier im Bild an der Siemens­ Verteilerplatte Rfz.1 anschloss (max. neun Stück), besorgte sich den Zweiröhren ­Niederfrequenzverstärker Rfv.1 (rechts). Für den Fernempfang gab es schließlich noch den links aufgestellten Hochfrequenzverstärker Rfv.2. Als Audionröhre konnte die RE 84 (rot) verwendet werden, oder auch die RE 86 (gelb). Mit zwei RE 84 (auch ohne rote Kappe) sollte der Rfv.1 bestückt werden und für den Rfv.2 war die (gelbe) RE 86 geeignet.

 

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Ein Detektorapparat von Siemens war noch für viele erschwinglich, aber einen „D-Zug“, der über 700 Mark gekostet haben soll, konnte sich kaum jemand leisten. Deshalb reduzierte Siemens dessen Preis, entwickelte aber auch den Rfe. 10, einen Vierröhren-Zweikreiser, in dem alle drei D-Zug-Teile vereint wurden. 1925/26 zählte er zu den beliebtesten Zweikreis ­Neutro-Empfängern – dieser Siemens Rfe 10, auf dessen schräg angeordneter Frontplatte unter anderem vier silbern blinkende Röhren (RE 79/89) besonders dekorativ wirken.

 

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Manche Firmen bevorzugten für ihre ersten Detektor­ Modelle Tischtelefongehäuse. Auch Siemens verwendete solche Gehäuse zum Einbau seiner Zylinder ­Variometer. Links steht der Rfe.6 mit beidseitigen Kopfhörerausgängen, in der Mitte der Rfe.6 a mit nur einem Hörer-Klemmbuchsenpaar. Die Erscheinungsdaten ließen sich erstaunlicherweise nicht exakt ermitteln, und nicht weniger erstaunlich ist es, dass bis heute über die Identität einiger Rfe­ Typennummern gerätselt wird. Das kleinere Detektor­ Nachfolgemodell Rfe.20 von 1927 (rechts im Bild oben) gab es auch als Telefunken 1.

 

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Zu einer so teuren Empfangsanlage wie diesem „D-Zug“ gehört natürlich auch eine entsprechende Bedienungsanleitung, an der Siemens nicht sparte. 34 Seiten sind ausführlichen Beschreibungen gewidmet. Dazu kommen drei Faltblätter mit Schaltbildern und ein Kurvenblatt, auf dem die Wellenlängen in Bezug auf die Gradzahlen an den Skalenknöpfen aufgezeichnet sind.

 

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Wie aus dem 1925 in „Radio für Alle“ erschienenen Inserat hervorgeht, hatte Siemens seine Preise „bedeutend herabgesetzt“. Um die 700 Mark musste man 1924 für einen „D-Zug“ bezahlen, der Rfe 10 kostete „nur noch“ 350 Mark. Indes – bis die Anlage „hörfertig“ war, betrugen die Kosten (ohne Antenne) dann doch über 500 Mark.

 

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Die Preis-Zusammenstellung für den Rfe 10 wurde dem 1926er „Vox-Haus“-Katalog entnommen.

 

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Die Siemens-Empfänger in dieser Bauart waren ausgesprochene Erfolgsmodelle. Rechts vorn steht der Rfe. 10, ein Vierröhren-Zweikreiser. Sein Gerätepreis ohne Zubehör betrug 350 Mk. Zur Erweiterung der Wellenbereiche konnten zusätzliche Verlängerungs-Spulen oder Verkürzungs-Kondensatoren eingesteckt werden.

1927/28 wurde das Modell mit kleinen Änderungen (Mitte) zum Preis von 290 Mk, als Rfe. 18 angeboten, und 1928/29 ohne Heizregler als Rfe. 22 (links hinten). So kostete er nur noch 225 Mark. Dass es sich bei diesen (technisch in Siemens Präzision aufgebauten) Empfängern um besonders begehrte Sammlerstücke handelt, bedarf eigentlich keiner Erklärung.

 

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Beim Anschluss mehrerer Kopfhörer wurden unterschiedliche Reihen- oder Parallelschaltungen erforderlich. So konnten bis zu 9 Personen am Rundfunk-Empfang teilhaben. Besonders schön ist auch der Protos Rfe 16a , in dem erstmals Empfänger und Lautsprecher vereinigt enthalten sind. Das erste Modell (noch bestückt mit Röhren auf Telefunken Sockeln) entstand wahrscheinlich schon 1926, in den Katalogen findet man es 1927.

 

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Inserat aus: „Radio“, vom November 1927.

 

„Protos“ wurden bei Siemens auch Haushaltsgeräte genannt und sogar ein „Protos­ Auto“ entstand im Siemens Werk. Das war aber eine Eintagsfliege.

 

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Das Siemens Modell Protos Rfe.16a von 1926/27, eine frühe Empfänger­ Lautsprecher-Kombination. Nur ein Netzteil war noch nicht drin; der mit Telefunken Röhrenfassungen versehene Dreiröhren-Einkreiser wurde von Batterien gespeist. Beim Lautsprecher handelt es sich um das Falzmembran ­System.

 

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1927/28 gab es den neuen Protos mit abgerundeten Ecken als Rfe. 21. Noch immer wurde er mit Batterien betrieben, nun aber enthielt er die neuen Röhren RE 084, RE 034 und RE 134. Der Rfe 21 ist noch seltener als der Rfe. 16a.

 

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Eine außergewöhnliche Siemens­ Rundfunkanlage von 1926/27: Das Neutro­ Empfangsgerät Rfe.13  mit Leistungsverstärker Rfv.10.

 

Fürs Wohnzimmer war diese Zusammenstellung nicht gedacht, sie diente öffentlichen Darbietungen. 26 kg bringt sie auf die Waage, und das ohne Netzteil. Beim Rfe.13 handelt es sich um einen batteriebetriebenen, mit zwei Telefunkenröhren RE 86 bestückten Zweikreis-Empfänger, umschaltbar für Mittel­ und Langwellenempfang. Für die Lautsprecherwiedergabe musste ein Verstärker angeschlossen werden, zur Saalbeschallung vorzugsweise der hier abgebildete Rfv.10. Auch dieser Kraftverstärker, in dem fünf Verstärker Trioden und zwei Endröhren RV 218 stecken, hat keinen Netzteil. Was der wohl an Batterien verbrauchte? 1928 hatte Siemens neue Truhengeräte im Programm. Den 5­ Röhren­ Neutroempfänger Rfe 24 mit der interessanten Wellenbereichsumschaltung gab es 1929 auch als Netzanschlussgerät Rfe 31 und 1930 mit Kraft­ Endstufe (RE 604).

 

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1928 erschien das Siemens Modell Rfe.24, ein Fünfröhren­ Neutrodyngerät für Batteriebetrieb in Truhenform. Der Sammler schätzt die solide S & H­ Bauweise und findet Gefallen an den drei Kupfer­ Spulentöpfen, welche bei der Wellenbereichsumschaltung um 180° gedreht werden. Auch einen neuen „Protos“ stellte Siemens 1928 vor, jetzt aber nicht nur mit eingebautem Lautsprecher, sondern auch mit Netzteil. Ihm folgte 1929 noch das Protofon, ein Schrankgerät mit eingebautem Plattenspieler.

 

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Inserat aus: „Der Deutsche Rundfunk“, Oktober 1928. Nur den Dreikreiser Rfe.24 gab es noch für Batteriebetrieb, die Einkreisempfänger Rfe. 23, 27, 29 und natürlich auch der Protos Rfe.25 waren durchweg für Netzanschluss konzipiert. Für Batteriegeräte offerierte Siemens eine Heizanode.

 

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Das Käuferinteresse galt 1928/29 vorzugsweise den Netzanschlussempfängern. Siemens wurde erfolgreich mit dem vorn im Bild stehenden Dreiröhren­ Einkreiser Rfe.27. Der zu ihm passende Lautsprecher Rfl.4 steht hinten. Dazwischen: das 1928er- Modell Protos Rfe.25, in dem der Empfänger Rfe.27 mit dem Falzmembran ­Lautsprecher vereinigt worden war.

 

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Die schlichtesten 1928er Siemens-Geräte, die Typen Rfe. 23 und 29, hat man in Blechkästen eingebaut, wie sie auch bei Telefonanlagen verwendet wurden. Das Plexi-Gehäuse wurde angefertigt, damit der Innenaufbau zu sehen ist. Bestückt ist der Rfe. 29 mit den Röhren REN 1104, RE 134 und einer zweiten, zur Netzgleichrichtung eingesetzten RE 134. Im gleichen Gewand konnte man ihn auch als Einröhrenaudion Rfe 23 bekommen: ein Netzanschlussgerät, nur für Kopfhörerempfang, mit der RE 1104 als Empfänger- und der RE 154 als Gleichrichterröhre – das gab’s nur einmal.

 

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Aus der Beschreibung im Ehrenfeld-Katalog geht hervor, dass der Rfe. 23 nicht als Heimgerät gedacht war.

 

Ein Siemens zählte zu den teuersten Markengeräten, dies beweist auch das 1928 erschienene Siebenröhren Neutrogerät im Radioschrank. Der Käufer hatte die Wahl zwischen den Ausführungen in Eiche (2.200.-), in Nussbaum (2.300.-) oder in Mahagoni (2.400.– Mark). Zu diesen Preisen mussten die Kosten für sieben Röhren und für die Batterien addiert werden.

 

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Die dem 1928er Radioschrank nachfolgende Ausführung PL 70/W ist für Wechselstromanschluss ausgelegt und mit sechs Trioden REN 1104, einer Kraft-Endröhre RE 604 und einer Gleichrichterröhre RGN 2004 bestückt. Im unteren Teil des Schranks befindet sich links eine Rah-menantenne, rechts ein Plattenspieler und der Lautsprecher. 

 

Der PL 70/W war in keinem Katalog zu finden, dieses Übergangsmodell zu den 1929er Protophon- bzw. Protos-Elaphon-Geräten wurde wohl auch nur in kleinsten Stückzahlen an Gaststätten und dergleichen verkauft. Wesentlich größere Verkaufserfolge konnte Siemens mit den neuen Schrank-Kombinationen verbuchen, welche statt mit dem Siebenröhren-Neutro-Empfänger mit dem Dreiröhren-Einkreiser bestückt wurden. Damit kostete der Schrank (ohne Röhren) nur noch 650.- Mark. Technisch besonders interessant ist der Rfe. 32 von 1929. Bei gleichzeitiger Veränderung der Schwingkreis­ Kapazität und ­Induktivität konnten mit diesem „Einbereichsgerät“ ohne Wellenumschaltung Sender auf den Wellenlängen zwischen 200 und 2000 m empfangen werden. Auf den verlängerten Achsen der Drehkondensatoren sitzen die Rotoren der Variometer. Siemens machte von diesem System auch bei ihren 1930/31er-Modellen mit der „Riesenskala“ Gebrauch.

 

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Der unten in diesem Protophon 2 eingefügte Rfe.27 wurde hier Rlg 12 genannt. Die Handkurbel beweist, dass der Plattenspieler (mit dem elektrischen Tonabnehmer) noch mit einem Federwerksmotor ausgestattet wurde.

 

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Der Siemens Rfe.32 von 1929 mit dem durchgehenden Wellenbereich 200 bis 2000 m, bestückt mit: RENS 1204, REN 1004, REN 1104, RE 134, RGN 1054. Hinter diesem leistungsfähigen Vierröhren­ Schirmgitter­ Netzempfänger steht der passende Protos ­Luxus­ Lautsprecher Rfl.6.

 

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1930 und 1931 offerierte Siemens neu gestaltete Empfänger mit dem durchgehenden Wellenbereich, jetzt mit der „Riesenskala“. Der Abstimm­ Drehkondensator hat 880 cm Endkapazität. Die Typen im Bild (von hinten nach vorn): 31 W, 31 AW und 32 W. Alle drei sind – mit Trioden bestückte – Dreiröhren­ Einkreiser.

 

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Auch das Siemens Radio mit der Riesenskala (31 AW) wurde in einem Modell-Atlas abgebildet. Es gab in dieser Bauart auch die Zweiröhren Typen 22 W und G und den Vierröhren Zweikreis Empfänger 41 W, wahlweise mit Kraft-Endstufe.

 

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1931 erschien als „der größte mit der Riesenskala“ dieser Vierröhren Dreikreiser 45 W, bestückt mit den Röhren 2 x RENS 1204, REN 904 und in der Endstufe mit der RE 304. Eine RGN 504 ergänzte den Röhrensatz.

Schon die kleineren Siemens-Modelle des Vorjahres waren gut beurteilt und verkauft worden. Im Gegensatz zu diesen „Einbereich“ -Geradeausempfängern, welche durch die gleichlaufende Änderung der Schwingkreis- Kapazität bzw. Induktivität auf der Halbkreis-Skala ohne Wellenumschaltung den Bereich 200 bis 2000 m empfangen konnten, hat der hier abgebildete Typ 45 W zwei ganz normale (umschaltbare) Bereiche für den Mittel- und Langwellenempfang.

 

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Letztmals verwendete Siemens die Riesenskala in Modellen von 1932. Den Zweiröhren Schirmgitter Netzempfänger gab es ohne eingebauten Lautsprecher als Type 23 (W oder G), mit Lautsprecher als Type 23 L. Der kombinierte Apparat (rechts) heißt Protofon P 141 W.

 

1932 hatten noch viele Radios Walzen- oder Rund-Skalen – aber bei Siemens nur die kleinen Modelle. Den Vierröhren Dreikreiser 46 L und den Fünfröhren Super 55 L statteten S & H mit einer lang gestreckten Linearskala aus. Die wollte so recht nicht zu dem abgerundeten Gehäuse des 46 L passen, außerdem erkannten die Siemens Gestalter, dass die Zeit des Kathedral-Stils abgelaufen war und offerierten alternativ den „46“ als „Typ Stuttgart“.

 

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Obwohl die langgestreckte Linearskala nicht so recht zu dem Gehäusestil passen will, steht dieses Siemens­ Modell 46 WL hoch in der Gunst des Sammlers. Schaltungstechnisch ist der Vierröhren-Dreikreiser von 1932 baugleich mit dem Telefunken 343 WL und dem AEG Ultra­ Geadem WL (die Entwicklung kam von Telefunken). Alternativ zum oben abgerundeten (altmodischen) Gehäuse lieferte S & H den 46 WL / GL auch als rechteckigen „Typ Stuttgart“. „Schwäbische Innenraum­ Künstler haben die vornehme Form geschaffen“, schreibt Siemens. Beide WL­ Formen enthielten erstmals einen permanent­dynamischen Lautsprecher.

 

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1931/32 wurden die Siemens­, AEG­ und Telefunken ­Modelle schaltungstechnisch baugleich. Viele Telefunken ­Empfänger wurden bei Siemens fabriziert, auch die Arcophon ­Lautsprecher. Der Sammler erkennt sie am Prüfstempel „Ruf“. Spaßvögel meinen, „Herr Ruf“ musste viel zu tun gehabt haben, mit der Prüfung und Stempelung all der Geräte. Die lang gestreckte Linearskala konnte man nur in den zwei (drei) großen Siemens Empfängern aus dem Modelljahr 1932/33 finden. Für die Dreikreiser und Superhets der Baujahre 1933 und 1934 ließ man sich im Hause Siemens etwas ganz besonderes einfallen.

 

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1933/34, mehr noch 1934/35 waren die Jahre, in denen zahlreiche Firmen mit neuartigen Skalen experimentierten. Mit den unterschiedlichsten Systemen umwarben die Radio­ Produzenten ihre Kaufinteressenten. Siemens versuchte die Gunst der Käufer mit dem „Länderband“ zu erringen. Das war eine Folie samt Umrollvorrichtung; im Skalenfenster erschienen nur die Sender des ausgewählten Landes.

 

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1933 präsentierte Siemens die ersten „Länderband“­ Modelle, u.a. dieses mit zwei Hexoden ausgestattete Vierröhren Dreikreisgerät Ätherzepp 47 WL. Wahrlich eine komische Wortschöpfung, der „Ätherzepp“ (nicht ­sepp oder ­depp), welche diesem Dreikreis­ Geradeausempfänger angehängt wurde. Der „Zeppelin“ war in aller Munde.

 

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1934 gab’s mit dem Länderband den Vierröhren-Super 48 sowie den Fünfröhren Länderband Großsuper 57. Hier abgebildet ist der mit Bandfiltereingang ausgestattete Siebenkreis-Super 48 WL, bestückt mit den Röhren ACH 1, RENS 1234, REN 924 und RENS 1374 d.

 

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Nur die beiden „Großen“ wurden 1934 mit der Länderband Skala ausgestattet, dieser Dreiröhren-Reflex-Super 37 musste sich mit einer „Flutlichtskala“ begnügen. Weil es die Gleichstromausführung 37 GL ist, findet man in ihm die Röhren: BCH 1, RENS 1834 und RENS 1823 d.

Auch dies soll in der Siemens Firmengeschichte nicht unerwähnt bleiben: Nach der NS ­Machtübernahme begann jene unrühmliche Zeit, in der jüdische Betriebe nicht mehr geduldet wurden. Auch die Dr. Aron ­Nachfolger, insbes. der Mehrheits Eigentümer Manfred Aron waren davon betroffen. Sie besaßen die Heliowatt­ Werke samt Tochterfirma „Nora“. Unter Verkaufszwang kam das Unternehmen 1934/35 zu Siemens (Elektrische Licht– und Kraftanlagen AG) und Siemens ­Schuckert. Das Fabrikat wurde von Siemens unter der alten Marke weitergeführt.

Große Bedeutung hat man den Rundfunkgeräten im Hause Siemens nicht immer beigemessen. Ende der zwanziger Jahre wurde ihnen ein Platz in der „Klein ­Verkaufsliste“ zugewiesen. Mitte der Dreißiger wäre das Siemens­ Radio fast ganz von der Bildfläche verschwunden. Man überlegte ernsthaft, dieses Gebiet der Telefunken ­Gesellschaft allein zu überlassen. Aber die Verteidiger im Hause konnten sich durchsetzen. „Wenn wir das Radio nicht fallen lassen“, sagte Carl Friedrich von Siemens, „dann wollen wir uns gründlich mit ihm befassen und den Vertrieb forcieren“. Ernst von Siemens, der Sohn von Carl Friedrich, machte sich mit Elan an diese, seine erste Aufgabe. Rundfunkempfänger wurden von ihm zur Chefsache erklärt und er beauftragte fortschrittlich gesinnte Gestalter, die dem Radio eine ganz neue Eigenständigkeit verleihen sollten. Also wurde darüber nachgedacht, wie wohl ein modernes Rundfunkgerät auszusehen habe, mit dem man die Konkurrenz meilenweit hinter sich lassen könnte.

 

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Von den braunen, nussbaumfurnierten Gehäusen wollte man sich verabschieden, ein neuzeitliches Radiogerät müsste zu keinem Möbelstil passen – es sollte den Charakter eines Musikinstrumentes erhalten – als Vorbild könnte man den Konzertflügel ins Auge fassen. Und dem käme man recht nahe, wenn (in Anlehnung an das Klavier und seine Tasten) ein schwarzes Schleiflack Gehäuse mit elfenbeinfarbigen Teilen kombiniert würde.

 

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Rechts im Bild steht der Zweiröhren­ Einkreiser 52 WLK Luxus von 1935. Dieses Modell mit Kurzwellenteil gab’s nicht im Bakelit­ sondern im schwarz­dunkelroten Schleiflack­ Holzgehäuse.

 

Im Folgejahr kam – im Bakelit Gehäuse – der Dreiröhren­ Zweikreiser ohne Kurzwellenbereich als Standard 63 auf den Markt. Dieses Gerät konnte – wie „Der Radio-Händler“ in seinem Heft 9/1937 berichtete – auch mit einer „Blindenschrift-Skala“ ausgestattet werden.

 

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So geschah es dann – das kleinste Modell in der neuen Bauform war ein Zweiröhren Standard Einkreisgerät für Mittel- und Langwellenempfang. Das überzeugte durch seine Schlichtheit. Den Dreiröhren-Zweikreiser gab‘s in Form einer Schatulle im Bakelitgehäuse und beim Vierröhren Super hatte die Gestalter wohl der Mut verlassen, den versahen sie mit Zier-Beschlägen. Trotz dieses (einmaligen) Zugeständnisses, das man nicht als Stilbruch betrachtete, klopften sich die „Kreativen“ auf die Schulter. Zwei Lager bildeten sich nun im Hause Siemens: Die „künstlerisch Empfindenden“ waren voll des Lobes, die mehr auf Umsatz bedachten Pragmatiker lehnten diesen „Herrn im Frack“ ab. Nachdem sich dann 1935/36 abzeichnete, dass mit den „Neuen“ die Verkaufserfolge weit hinter den Erwartungen zurückblieben, kehrte bei den Entscheidungsträgern Ernüchterung ein. Doch so schnell wollte man die Flinte nicht ins Korn werfen.

Georg Siemens schrieb 1961 in seiner bemerkenswert formulierten Geschichte des Hauses Siemens: „Aber die Gebildeten überstimmten die Primitiven, und so wurde der Herr im Frack in großen Serien aufgelegt. Als er in der ersten Saison nicht verkauft wurde, tröstete man sich damit, dass alles neue Gute seine Zeit brauche, sich einzuführen; als es auch in der zweiten Saison nicht ging, beschloss man eine ganz besondere Werbung anzufachen, und als man nach einem weiteren Winter auf der dritten Serie unverkaufter Geräte saß, hatten die Primitiven recht behalten, und man konnte einige Millionen abschreiben. Um nicht alles zu verlieren, schob man die Lagerbestände zu Schleuderpreisen ins Ausland ab, und so endete der Herr im Frack auf dem Balkan und bei den Wilden.“

Herr Siemens wollte das sicher nicht wörtlich verstanden wissen; ganz so wild dürften die Käufer dieser Radios nicht gewesen sein, erforderte doch ihre Behausung zumindest eine ans Stromnetz angeschlossene Steckdose. Einem Sammler, der auf seiner Urlaubsreise im Busch des schwarzen Afrika dem „Herrn im Frack“ nachjagen wollte, dürfte ein Erfolg kaum beschieden sein.

 

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Ein Begriff unter den Radiosammlern: der Siemens „Herr im Frack“. 1935 sorgte die Siemens Schatulle 53 WL für Aufsehen. Dieser leistungsfähige Zweikreisempfänger ist mit drei Pentoden bestückt.

 

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Der Unternehmensberater Hans Domizlaff war von 1935 - 38 für das Erscheinungsbild und die Formgebung von Siemens Erzeugnissen zuständig.

 

Der finanzielle Misserfolg der „Herren im Frack“ zeichnete sich schon bei den Modellen aus 1935 ab. Trotzdem startete Siemens 1936 einen zweiten Versuch und offerierte in der Schatullenform die Typen 5/4, 7/4, und nochmals den 1935er „Großsuper“ 540 WLK. Warum (nur) dieser Großsuper genannt wurde, bleibt ein Rätsel. Er hatte, wie der 7/4 sieben Kreise und war mit den alten Stiftröhren ACH 1, RENS 1294, AB 1, RENS 1284 RES 964 und RGN 1064 bestückt. Den hier abgebildeten Super 7/4 dagegen bestückte Siemens mit dem neuen Röhrensatz: ACH 1, AF 3, ABC 1, AL 4 und AZ 1, stattete ihn mit einer veränderlichen Bandbreiteneinstellung aus, sowie mit einer 9 KHz Sperre. Damit war er dem „Großsuper“ eigentlich schon überlegen, ihm fehlte nur der Kurzwellenbereich und die als „Wellenlot“ bezeichnete Abstimmanzeige.

Glück also hatte Siemens mit diesen, im „neuen Design“ gestalteten Geräten nicht. Doch von einer Liquidation des Empfängerbaus sprach auch niemand mehr. In den Folgejahren, in der zweiten Hälfte der Dreißiger, wurden noch manche schöne Siemens Radios entwickelt, gefertigt und verkauft. Kammermusik­ Schatullen und ­Schrankgeräte – die größten, die jemals für Radios gebaut wurden – sind heute wertvolle Sammlerstücke. Der Krieg kam, aber Siemens fertigte noch Rundfunkgeräte im Werk Arnstadt, hauptsächlich für den Export. Und mitten im Krieg, 1941, gab Siemens seine Telefunken ­Anteile an die AEG ab. Vom Unterhaltungssektor blieb beim Siemens ­Konzern – jetzt mit 100 Prozent – die Klangfilm­ und die deutsche Grammophon ­Gesellschaft.

 

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Siemens war zwar von der Schatulle im hochformatigen schwarzen Bakelitgehäuse, dem „Herrn im Frack“, geheilt, aber die Schatulle als solche – eine zweite Generation – sollte im Siemens­ Radiogeräte ­Programm bis in die 50er Jahre ihren festen Platz einnehmen.

1937 entwarfen die Stilisten für die „Neue Schatullen Serie“ ein repräsentatives Edelholzgehäuse. Auch der Inhalt dieser Kammermusik-Schatulle 76 W wurde aufgewertet: eine AC2 als Treiberröhre, die AD1 in der Endstufe und zwei Lautsprecher sorgten für die brillante Wiedergabe der Höhen und Tiefen.

 

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Kammermusik­ Schatulle 85 W heißt dieser Fünfröhren ­Siebenkreiser, Baujahr 1938. Auch er hatte, wie sein Vorgänger, noch einen Bandfiltereingang. Die HF ­Vorstufe erhielt erst der 1939er Nachfolger S 95 W. Für den guten Ton sorgen wieder Hoch­ und Tiefton ­Lautsprecher, die jetzt von der Hochleistungs­ Endröhre EL12 gespeist werden.

 

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Sieben Kreise hat der Jupiter 83 W von 1938, ansonsten wäre er als Standard-Gerät einzustufen. Etwas ungewöhnlich ist die „Netzschalttaste“. Bei modernen Geräten wurde gegen Ende der Dreißiger normalerweise der Netzschalter mit dem Lautstärkeregler kombiniert. Der Jupiter (ohne Abstimmanzeige) blieb ein Mauerblümchen, das Rennen machte der preisgünstigere Lorenz Siebenkreis Super 200 W.

 

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Sammler nennen ihn den „Siemens ­Hochstapler“, diesen Kammermusik ­Großsuper S 93 W aus dem Jahr 1939. Bestückt wurde die Wechselstrom­ Version mit den Röhren ECH 11, EBF 11, EF 11 und EL 11; nur die EM 11 und das Eingangsbandfilter erhoben ihn über die Standard Superhet ­Klasse. Im Innern sind bereits Vorkriegs ­Sparmaßnahmen wahrzunehmen – als Chassis diente statt Metall eine Pertinaxplatte auf Holzrahmen.

Den anschließend beschriebenen, wirklich großen, mit 13 Röhren bestückten Luxus-Schrank nannte Siemens sehr bescheiden „Kammermusik-Gerät“.

 

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Das erste Siemens Kammermusik Gerät erschien 1936 mit einem überraschenden Inhalt. Ein Zweikreis Geradeausempfänger steckte in dem rund 1000 Mark teuren Schrank, bestückt mit den alten Stiftröhren RENS 1284, AB 1, REN 904 und zwei Endröhren RE 604, welche im Gegentakt arbeiteten. Die Empfangsleistung betreffend bot er wenig mehr als ein Ortsempfänger. Die beiden Kreise für Mittel- und Langwellenempfang legte man vor das Gitter und hinter die Anode der RENS 1284, wo über 25 pf die AB 1 auch schon demodulierte. Deshalb keine Rückkopplung, dafür breitbandiger Empfang und optimale Wiedergabequalität.

Hier im Bild steht das Nachfolgemodell das Kammermusikgerät II, welches 1937 mit drei Kreisen und den Röhren: AH 1, AF 7, AL 4, AB 2, AC 2, AD 1, AD 1, AF 7 und RGN 4004 auf den Markt kam. Mit doppelter Bandbreiten-Regelung ist der Tonfrequenzumfang auch bei diesem Kammermusikgerät nicht eingeengt und die neuen Röhren sorgen sowohl für eine bessere Empfangsleistung als auch für die garantiert verzerrungsfreie Wiedergabe bei hoher Lautstärke. Drei Lautsprecher sind eingebaut, das Bass-System mit hebelübersetzter Schwingspule misst 60 cm im Durchmesser.

Dieses Gerät überrascht aber noch mit einer anderen Siemens Idee. Was wohl tut die AL 4 mitten in der oben aufgelisteten Röhrenfolge – wird sich mancher Leser gefragt haben. Sollte das etwa die Endröhre eines getrennten Hochton-Kanals sein? Nein – sie arbeitet in einer, der zweiten HF-Röhre nachgeschalteten aperiodischen HF-Verstärkerstufe und ersetzt die NF-Vorverstärkung! Die am Schluss der Röhrenbestückung aufgeführte AF 7 ist nur für die Schallplattenwiedergabe in Funktion. Nicht nur seine Ausmaße – 150 x 96,5 x 55 cm – sind außergewöhnlich, das ganze 112 kg schwere Gerät fällt aus dem Rahmen und ebenso sein wenig verändertes Nachfolgemodell Kammermusikgerät III, welches 1938 erschien. Erst das etwas kleinere 1939er Kammermusikgerät  IV wurde völlig neu entwickelt und mit einem 11(13)-Röhren Vorstufensuper ausgestattet. Das darf dann auch als das letzte und sicher beste deutsche Empfangsgerät aus der Vorkriegszeit bezeichnet werden.

 

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