2.12 Noch bessere und noch mehr Radios

So manches wäre noch zu sagen, über die politischen Aktivitäten aus den Jahren 1937 bis1939 - meist hatten sie schreckliche Konsequenzen. Herausgegriffen sei ein Ereignis, das sich auf unser Thema „Radio" auswirkte: der Anschluss Österreichs an Deutschland. Hitler wollte Österreich 1938 ins deutsche Reich eingliedern, stieß aber auf den erbitterten Widerstand des Bundeskanzlers Schuschnigg, der nur der Gewalt weichen wollte. Also besetzten deutsche Truppen das Land, dessen Bevölkerung sie jubelnd empfing. Gut 99 % stimmten für den Anschluss.

 

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Beide Inserate aus:,,Der Radio-Händler", März 1938

 

In Österreich gab es eine beachtliche Rundfunkindustrie, welche sich aus den Firmen Eumig, Horny, Ingelen, Kapsch, Minerva, Radione und Zerdik rekrutierte. 1938 wurden diese Fabrikate in den WDRG-Katalog eingegliedert. Geradeausempfänger konnte man darunter nicht finden. Alle Fabrikate begannen 1938 und 1939 mit dem Siebenkreis-Super, und einige Firmen offerierten ihre teils mit „roten" Röhren bestückten Hochleistungsgeräte mit HF-Vorstufen (näheres hierzu steht im Kapitel 4). Deutsche Radiosammler sind selten daran interessiert, Geräte aus dieser „Ostmark"- Produktion des Großdeutschen Reiches in ihre Sammlung aufzunehmen. Sie beschneiden damit aber die Vollständigkeit ihrer Vorkriegskollektion, zumal die Qualität der österreichischen Geräte keinesfalls zweitklassig, teils sogar andern überlegen war.

Ganz konsequent sind diese Sammler allerdings auch wieder nicht. Den Ingelen-Geographic obwohl ganz konsequent sind diese Sammler allerdings auch wieder nicht. Den Ingelen-Geographic (obwohl er nicht zu den Großen zählte) würde keiner stehen lassen. Der Gigant (ebenfalls Ingelen und auch kein Vorstufensuper, wie z.B. der Homy Souverän 40 W, der Minerva 407 W oder auch der Radione 6039 A) steht auf dem Wunschzettel des Großsuper-Sammlers, während ein Freund von Koffergeräten die hervorragende Empfangsleistung des Radione R 2 zu schätzen weiß. Und die Techniker im alten Deutschland? Sollten die etwa wieder an der „Röhrenschraube" gedreht haben?

In der Tat, es gab mal wieder neue Röhren. Kaum waren die Serien mit den Außenkontaktsockeln etwa vollständig, sollten nun Röhren ganz anderer Art, und wieder mit neuen Sockeln, in die Geräte. Die unter Erfolgsdruck stehenden Telefunken-Entwickler hatten etwas auf die Beine gestellt, um den „roten" Röhren Paroli zu bieten. Schließlich entsprachen die A-Röhren wie etwa die AF 7 mit 0,65 Ampere Heizstrom (2,6 W) nicht mehr dem Stand der Technik - die „Roten der Konkurrenz" mit etwas höherer Heizspannung taten's mit 0,2 A (1,26 W). Nur bei einigen ihrer „Autoröhren" (die EF1 wurde zur EF 7, die EF 2 zur EF 3 usw.) ersetzte Telefunken (vorübergehend) die Nickel durch Kupferkatoden, wodurch der Heizstrom von 0,4 auf 0,24 Ampere reduziert werden konnte.

Sie auch in Wechselstrom-Empfänger einzusetzen, kam Telefunken vorerst nicht in den Sinn. 1936 aber hat's gefunkt: ,,Die Entwicklungsarbeiten auf dem Rundfunk-Röhrengebiet für spätere Jahre laufen tatsächlich auf die Schaffung einer neuen 6 Volt-Serie hinaus" - steht im Telefunken-Protokoll vom 27. Juni 1936. Übereilen jedoch wollte man nichts. Andererseits galt es zu beweisen, dass „die deutsche Weltmarke" nicht nur am Alten hing. Würden doch 1938 die unbequemen - um nicht zu sagen: verhassten - ,,Roten" über den „Österreich-Umweg" durch die Hintertür ins Reich kommen (siehe Kapitel 4).

Die amerikanische Metallröhre wurde im Oktober 1935 in der „Funkschau" vorgestellt. Sie sei deshalb auf den Markt gekommen, meinte Herr Herrnkind, im Heft 47, weil die RCA  die Philco in den Schatten stellen wollte. Nur teurer sei die Metallröhre, aber Vorteile biete sie nicht.

„Harmonische Reihe" wurde die Serie getauft, deren Röhren sowohl für Wechselstrom - (6,3 Volt in Parallelschaltung) als auch für Allstromgeräte (0,2 Ampere in Serienschaltung) Verwendung finden konnten. Das entsprach dem Stand bei Philips, war so neu also nicht. Auch die Systeme orientierten sich an den „Roten", der Aufbau hingegen zeigte grundsätzliche  Abweichungen - die Stahlröhren erhielten horizontal angeordnete Systeme. Durchweg wurde mit dem Stahlmantel aber nur die Erstserie ausgestattet, welche im Frühjahr 1938  zur Bestückung stoßfester Autosuper bestimmt war - auch die Auto-Endröhre EDD 11, welche im AB-Betrieb nicht so heiß werden konnte. Für die Lautsprecherröhren in Heimgeräten bevorzugte man weiterhin den Glaskolben.

 

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Inserat aus: ,.Bastelbriefe der Drahtlosen", September 1940

 

Wenn sich auch die in  Amerika entwickelten und damals mit Vorschußlorbeeren bedachten „All-Metal-Radio-Tubes" samt ihren deutschen Stahlröhren-Nachfolgern als vorübergehende Erscheinung entpuppten, handelte es sich doch systembezogen um eine reife Leistung. Die neue ECH 11 war der ACH 1 eindeutig überlegen, sie hatte, speziell beim KW-Empfang, die besseren Sehwundregel-Eigenschaften und die EF 13 sorgte für rauscharmen Empfang in den neuen Vorstufen-Superhets, welche 1938/39 einen Höhepunkt der Empfängertechnik markierten. Anfangs wollte Telefunken die Röhren dieser Serie nur Autoradios und hochwertigen Modellen zugestehen, schließlich aber fanden sie den Weg in alle Geräteklassen und erst zehn Jahre später wurden nach und nach sämtliche Stahlröhren durch die neuartigen Allglasröhren verdrängt. Es hatte sich einiges verbessert, ,,vorn"  im HF-Bereich. Aber auch „hinten raus" war etwas getan worden in den Entwicklungs-Labors. Zur Wiedergabe-Optimierung dienten nicht nur die entsprechend gestalteten Gehäuse und verbesserte Lautsprecher (bei Spitzengeräten Hoch- und Tieftöner),auch die Schaltungstechnik konnte ihren Teil dazu beitragen.

Tonfrequenztechnische Vorteile ergaben sich durch die Mehrfach-Bandbreitenregelung. Einige Spitzengeräte wurden automatisch nachgestimmt und vereinzelt gab es für den Bezirksempfang wahlweise die Geradeaus-Schaltung. Die bei Verwendung von Endpentoden oft angeprangerten Verzerrungen konnten durch die Gegenkopplung kompensiert werden. Sie wurde als „bedeutender Fortschritt zur Verbesserung der Tonqualität" gewertet.

Für den „kleinen Mann" gab es 1938 auch etwas Neues: den VE 301 Dyn mit den Röhren AF 7, RES 164 und RGN 1064, welcher mit seinem Preis von 65 RM billiger verkauft wurde, als 1933 der erste VE 301. Während man von letzterem in zahlreichen Dokumentationen lesen kann, dass er vom Obering. Otto Grießing entwickelt worden war, und der Gehäuse-Entwurf von W.M. Kersting stammte, ist es kaum bekannt, dass der 1938er VE Dyn dem Hermsdorfer Obering.Hans J. Stanienda zuverdanken ist. Bei Schaleco wurde er unter Mitwirkung des bekannten Fachbuch-Autors Otto Limann entwickelt - das Gehäuse gestaltete der Architekt Prof. Schneckenberg.

 

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Aus: .Der Radio-Händler, April 1938

 

Wem aber der neu gestaltete und (gegenüber dem VE 301) sowohl in der Empfangsleistung, wie auch im Ton wesentlich verbesserte Volksempfänger VE dyn auch noch zu teuer war, der konnte sich einen „Deutschen Kleinempfänger"  kaufen, den 35 RM teuren DKE 38. Dieser (mit den neuen Röhren VCL11 und VY 2 bestückte) Einkreiser war das billigste Gerät mit dem geringsten Stromverbrauch - die Empfangs-Qualität entsprach dem Preis. ,,Goebbels-Schnauze" nannten ihn die Berliner und die Sachsen tauften ihn (in Anspielung auf des Propagandaministers Fußleiden) ,,Klumpfüßchens Wunderhorn". Die Zeitschrift „ Das Rundfunk-Gerät" (früher: Der Radio-Markt") schrieb unter dem Titel „Mitteilungen aus dem Kartellverband" im Oktober 1938:„ Die politische Rundfunkführung hat - so erklärte Kriegler u.a. -  dem Deutschen Kleinempfänger 1938 im August dieses Jahres einen großzügigen Start gegeben. Dieser Start ist erfolgt in Verbindung mit der vom Reichsminister Dr. Goebbels aufgestellten Forderung, daß Deutschland das stärkste Rundfunkland der Welt werden müsse. Der Deutsche Kleinempfänger 1938 stellt also eine propagandistische Planung der Rundfunkführung dar, die auf Jahre hinaus berechnet ist".

Die Amateur-Zeitschrift „Bastelbriefe der Drahtlosen" berichtete in ihrer Februar-Ausgabe 1939:  Am 1. Januar 1939 betrug die Zahl der Rundfunkempfangsanlagen im Altreich 10 821 858 gegenüber 10 379 348 am 1. Dezember 1938. Die Zunahme im Monat Dezember beträgt somit die erstaunliche Anzahl von 442 510 neuen Rundfunkanlagen (4,3 %). Die genannten Zahlen verstehen sich ohne das Land Österreich und die Sudetengebiete. Bei deren Einrechnung nähert sich die Rundfunkteilnehmerzahl in Großdeutschland bereits der zwölften Million". Ein beachtlicher Teil dieser Zunahme konnte auf die Verkäufe der neuen Klein- und Volksempfänger zurückgeführt werden - aber nicht nur. Schließlich gab es nach wie vor die besseren Ein- und Zweikreiser, auch Superhets mit fünf-, sechs- und sieben Kreisen, die nun fast durchweg mit den Stahlröhren-Serien bestückt wurden. Stahlröhren-Serien? Sollte das nicht „Serie" heißen? Nein, es stimmt schon, denn es waren inzwischen deren zwei! Nur eine harmonische Reihe war geplant, verwendbar für Wechsel- und Allstrom-Geräte.

Und nun gab es doch wieder getrennte Allstromröhren: die U-Stahlserie mit 0,1 Ampere Heizstrom. Es waren die letzten vor dem Krieg entwickelten Typen - die D-Stahlröhren für Batteriebetrieb kamen erst 1-2 Jahre später. Und auch diese waren wieder die Antwort auf eine „rote" Serie: die Philips-D-Röhren der 20er-Reihe, welche etwa zeitgleich mit Oktal-Sockeln auf den Markt gekommen waren. Die „Harmonisierung" zwischen Telefunken und Philips. Valvo, die 1934 (siehe Kapitel 2.7) so hoffnungsvoll begonnen hatte, beschränkte sich also auf die Nomenklatur, die Datenangleichung vorwiegend bei A- und C-Röhren und - vorübergehend - auf die Sockelgestaltung. Jetzt hätten sie wieder voll im Wettbewerb gestanden: die „Roten" (Glasröhren) und die „Schwarzen" (Stahlröhren). Und solch ein Wettstreit (den es auch zwischen derartig gefärbten Parteien geben soll) diente schon immer dem Fortschritt. Aber: sie „hätten", wenn es da nicht die Absprachen gegeben hätte. So beschränkte sich der Wettbewerb auf Export-Lieferungen, bei denen jedoch Telefunken nicht punkten konnte.

Die politische Lage war ständig bedrohlicher geworden - Hitlers ,,Einbürgerungs-Gelüste" machten auch an Österreichs Grenzen nicht halt. Das Sudetenland sollte „heim ins Reich", und am besten die ganze Tschechoslowakei. Die europäischen Großmächte wollten vermitteln und so kam es im September 1938 zum „Münchner Abkommen", mit dem das Ende der Tschechoslowakei vorprogrammiert wurde. Man einigte sich auf die Abtretung des Sudetenlandes an das „Großreich".

 

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 Jubel der deutschen Bevölkerung beim Einmarsch im Sudetenland.

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