2.9   Neue Technik in neuer Gestalt - das Radio als kreatives Möbel

Um die Mitte der Zwanziger wurde vom Rundfunkgerät nur erwartet, dass es ordentlichen Empfang brachte. Billige Modelle gab es in der offenen Bauform, wertvollere wurden in Kästen eingebaut. Radiomöbel waren kaum gefragt und wurden serienmäßig auch nicht hergestellt. Im Ausland war das anders. Viele englische, auch US amerikanische Radios zum Beispiel konnte man schon damals in edlen Mahagoni-Holztruhen oder Schränken finden, manche Firmen offerierten für ihre Empfänger sogar Radiomöbel in einem der Wohnungseinrichtung angepassten Stil.  

Hierzulande dagegen wurden insbesondere die batteriebetriebenen Apparate samt ihren Stromquellen nicht selten in einen Schrank gestellt (versteckt). Nur Lautsprecher mochte man als Einrichtungsgegenstände akzeptieren, und gerne wurden die erst gesehen, nachdem Konuslautsprecher in mehr oder weniger überholten Trichtersysteme verdrängt hatten.

Als dann die Netzanschluss-Empfänger den Markt eroberten, veränderten sich auch deren Gehäuse. Teils wurden sie schon passend die „schwarzen Kästen" aus der Anfangszeit konnte man in den zum Lautsprecher gestaltet im Lieferprogrammen mancher Firmen bis 1928 finden.

Gegen Ende der Zwanziger kamen bereits einige Radioapparate auf den Markt, bei denen Empfänger und Lautsprecher in einem Gehäuse untergebracht waren, 1930 gab es diese „zusammengefassten" bevorzugt als preiswerte Einkreiser. 1931 Zweikreis MENDE Typ 180/194 und vermehrt 1932 waren auch die „Großen" Vierröhren-Empfänger mit eingebauten Lautsprechern zu haben. Telefunken hatte schon ab 1933 keine getrennten Apparate mehr im Programm, aber zahlreiche andere ließen dem Käufer noch die Wahl zwischen den geteilten und zusammengefassten Geräten. Und wo fand der Lautsprecher in solchen Radios seinen Platz? Natürlich über dem Empfänger-Chassis.

 

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Die „schwarzen Kästen" aus der Anfangszeit konnte man in den Lieferprogrammen mancher Firmen bis 1928 finden

 

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Mende offerierte 1932 die neuen Zweikreis-Modelle mit der „Propellerskala" noch ohne und mit eingebautem Lautsprecher; letztmals im oben abgerundeten Gehäuse

 

Die frühen Blaupunkt-, Huth- und Siemens-Protos-Modelle ausgenommen ergab sich zwangsläufig von Anfang an das Hochformat. Von wenigen Ausnahmen abgesehen (z.B. dem Telefunken Admiral) wurden die Gehäuse nach Art der amerikanischen Midgets gestaltet, die man je nach Ausführung auch „Kathedralen" nannte. Es gibt sehr schöne Sammlerstücke unter den Hochformat-Radios, speziell aus der Zeit von 1931-33 und auch noch 1934. In diesem Modelljahr tendierten die meisten Firmen aber schon zu weniger hohen, fast schon quadratischen Bauformen (SABA baute deshalb den Ovallautsprecher ein). Man wurde experimentierfreudiger und die Bemühungen, dem Käufer ansprechend verpackte Radiotechnik zu offerieren, führten zu Entwürfen mit interessanten Details.

Die mit passenden Stoffen hinterlegte Lautsprecheröffnung wurde gerne „um die Ecke" geführt, die Zierleisten darüber simsartig gestaltet. Fast waren es kleine Gebäude Nachbildungen; nun aber nicht mehr im Kathedral-Stil, sondern mehr dem Baustil der Avantgarde angepasst.

Blaupunkt führte diese neue Richtung an und kreierte 1934 den Großsuper 4W9, der dem schon 1926 geprägten Kauf-hausstil des berühmten Architekten Erich Mendelsohn nicht unähnlich war. Als Blickfang bot sich die Skala an, die in diesem Jahr gestalterische Höhepunkte erreichte. Blaupunkt beschritt nicht nur mit der im 4W9 eingebauten ,,Litfaß-Säulen-Skala" neue Wege, bereits der 1932 erschienene, hier abgebildete Einkreiser Typ 2000 hatte eine Langfeld-Skala, wie sie bei den Modellen anderer Firmen erst Jahre später üblich wurden. Die einfache Zahlen- oder halbkreisförmig beschriftete Zelluloid-Skala fand man nur noch bei Empfängern der unteren Preisklasse oder solchen, deren Gestaltung rückständig war.

 

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Architektur beim Radiogehäuse?

 

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Der Mendelsohn-Bau lässt grüßen .

 

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1932 war dieses Blaupunkt-Modell 2000 seiner Zeit um Jahre voraus

 

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Die Stassfurter hatten so kleine Skalenfenster bis 1934 in ihren großen Superhets

 

Jetzt wurden großflächige Skalen bevorzugt - in vielen Variationen, jedoch zumeist im Querformat. Bei einigen Kunden jedoch erweckten die großen Skalen Hoffnungen, dass nun auch mehr Sender zu empfangen seien. Besonders großzügig interpretierte dies ein Franzose, wie der nachfolgenden Notiz zu entnehmen ist. Die deutschen Kunden waren wohl nicht so streitfreudig.

Bei einigen Kunden jedoch erweckten die großen Skalen Hoffnungen, dass nun auch mehr Sender zu empfangen seien. Besonders großzügig interpretierte dies ein Franzose, wie der nachfolgenden Notiz zu entnehmen ist. Die deutschen Kunden waren wohl nicht so streitfreudig.

 

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AEG und Mende wollten die Sendersuche durch alphabetische Anordnungen erleichtern, Seibt bevorzugte die „Skala der Nationen", Lumophon die „Turbinenskala", Blaupunkt (siehe oben) schuf die Skala in Form einer Litfaß-Säule und Siemens kreierte das „Länderband-System".

In Frankreich hatte ein biederer Mann einen Rundfunkempfänger gekauft, aber zu seinem großen Leidwesen stellte er fest, daß er nicht alle der auf der Skala verzeichneten Stationen empfangen konnte. Empört lief er zum Rundlunkhändler und verlangte sein Geld zurück. Vergeblich suchte der Händler ihn aufzuklären. Der Käufer war unbelehrbar und lief zum Kadi. Welch eine Verwunderung für den ganzen französischen Funkhandel: Das Gericht gab dem Käufer recht. Der Richter, der wohl selber noch nie ein Empfangsgerät besessen hat, stellte sich nämlich auf den eigenartigen Standpunkt, daß der Verkäufer eines Empfängers stillschweigend den Empfang all der Sender garantiert, die auf der Skala sind. Die Entgegnungen des Rundfunkhändlers fruchteten nichts, ebenso die technischen Beweise, daß der Empfang der auf der Skala verzeichneten Stationen von der örtlichen Lage abhängig ist. Der Richter erkannte nicht nur auf ein Rücktrittsrecht vom Kaufvertrag, sondern auch auf Schadenersatz an den Käufer.

Eine derartige Rechtsprechung stellt natürlich für die Funkindustrie und für den Funkhandel eine große Gefahr dar; denn Rundfunkgeräte, die überall verkauft werden, können unmöglich mit Skalen versehen werden, die haargenau den Empfangsbedingungen am Benutzungsort des Empfängers entsprechen.

 

Notiz aus: ,,Bastelbriefe der Drahtlosen vom November 1937 unter dem Titel: ,,Funknachrichten aus aller Welt"

 

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Siemens hatte die Länderband Skalen in verschiedenen Modellen von 1933 und 1934

 

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Lange bestückte 1933 den "Gral" beidseitig vom Lautsprecherfeld mit den ,,Vertikal-Skalen"

 

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Die Lumophon-Geräte von 1934 (hier das Modell "Erbgraf') konnten mit der „Turbinen-Skala" auftrumpfen

 

Sachsenwerk glänzte ab 1934 mit einem Projektions-System, das den eingestellten Sender auf einer Mattscheibe aufleuchten ließ. Der Möbelgestalter wurde gefordert, diese Skalen in Verbindung mit aufwendig geformten Lautsprecherausschnitten zur Geltung zu bringen. Das Radio sollte zum zentralen Schmuckstück des Wohnraums werden.

 

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Unterhalb der Langfeld-Skala dieses TeKaDe -"Konsul" ist eine Bereichsanzeige erkennbar, mit den beleuchteten Feldern: Kurz, Mittel, Lang und P.U.

 

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Die Projektionseinrichtung am Sachsenwerk Olympia 382 von 1937

 

Es wurde auch nicht mit Skalenlämpchen gespart; sie ließen die einzelnen Wellenbereiche meist in den Farben Rot, Gelb und Grün aufleuchten und zauberten so eine romantische Radio-Atmosphäre in die Abenddämmerung. Wenn dann beim Durchdrehen des Skalenzeigers im grünen Kurzwellenbereich zwischen Pfeif - und Quietsch- Geräuschen laut und klar ein Sender aus fernen Landen zu hören war, der für einen Augenblick den Orient ins heimische Wohnzimmer zauberte, um kurz darauf mit dem ,,Fading" wieder im „Äthermeer" zu versinken, dann war man noch fasziniert vom Wunder dieser Technik.
Zehn Jahre gab es nun das Radio, und die Firmen meinten - oder sagten es wenigstens in ihren Werbeprospekten - dass die technische Perfektion praktisch ausgereizt sei. Auch beim Bedienungskomfort sah man keine Verbesserungsmöglichkeiten mehr, nachdem die schwundgeregelten Großsuperhets mit Abstimmanzeigen in Form von Messinstrumenten, Schattenzeigern oder auch Glimm-Anzeigeröhren ausgestattet worden waren.

Aber schon 1935 folgten die nächsten Entwicklungsschritte. Die meisten Geräte wurden jetzt mit den neuen A- bzw. den mit Schnellheizkatoden ausgestatteten C-Röhren bestückt. Mit Röhren zu geizen blieb aber, wie in den Jahren zuvor, eine deutsche Spezialität; die Amerikaner und andere gingen mit ihren viel billigeren „Tubes" schon immer großzügiger um. Hierzulande jedoch wurde stets geprüft, ob man nicht mittels aufwendiger Technik (z.B. Reflexschaltungen bei hoher Kreiszahl) auf eine der teuren Röhren verzichten konnte.

Dr. T.C.H. Going verglich (ohne Würdigung der landesspezifischen Gegebenheiten) in seinem 1995 gehaltenen Vortrag „ The Growth of the Electron Tube Industry" den Preis der amerikanischen Misch-Heptode 6 A 7 mit dem der deutschen Misch-Oktode AK 1 und berichtete:

$ 1.30 kostete 1934 die 6 A 7, RM 18.- die AK 1. Das entsprach $ 7.17. Man musste also im „Telefunken-Land" für eine Mischröhre den gut fünffachen Preis bezahlen. Unverständlich für die Amerikaner, welche ein Radio stets nach der Röhren-, und nicht nach der Kreiszahl bewerteten. Aus Kostengründen (Röhren) wurden hierzulande mitunter nicht nur bei kleineren Modellen Reflex-Schaltungen bevorzugt. Auch in preisgünstigen Superhets findet man sie, oder man verzichtete auf eine NF-Verstärkerröhre. Dafür protzte man mit der Anzahl der Kreise. Das 1935er Körting Modell Band-Selector beispielsweise begnügte sich (die Gleichrichter ausgenommen) mit dem Trio: AK 2, AF 3 und AL 1, konnte aber sieben Resonanzkreise vorweisen. Dieses Gerät ist aber auch als Möbelstück interessant. Es handelt sich um den letzten Entwurf des alten Stils; noch mit Hand Schnitzereien versehen (Bild rechts). Frau Ritter, die Gattin des Körting-Chefs, liebte solche Möbel, aber nicht nur sie.

 

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In Thüringen und Sachsen war die Holzindustrie beheimatet, wo viele edelverarbeitete Radiogehäuse gefertigt wurden. So auch die Schatulle das oben abgebildeten Luxus Superhets Stassfurt-Imperial 55St, Baujahr 1934.

 

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Nach 1934 versuchten die Gestalter mehrerer Firmen neue Wege. Nach 1934 versuchten die Gestalter mehrerer Firmen neue Wege einzuschlagen. Modeme Entwürfe kamen auf den Markt,welche jedoch nicht immer auf die erhoffte Resonanz stoßen sollten. Ausgerechnet die von fach- und sachkundigen Experten entworfenen Modelle der Firmen Siemens (,,Herr im Frack" und SABA (Modelljahr 1935/36) führten zu beachtlichen Umsatzeinbußen. Für den Sammler sind natürlich auch die damaligen Misserfolge von besonderem Interesse. Und die individuelle Vielfalt der Bauformen von1934 und 1935 bereichern eine Sammlung ungemein.

 

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1935 kreierten die Siemens-Gestalter ein stilistischneuartiges Gehäuse aus Bakelit. Die auf schwarz/weiß beschränkte Farbgebung sollte sich auch in moderne Raumgestaltungen einfügen. Bis 1936 hatte Siemens mit den Modellen dieser Art Geduld, dann kamen wieder edle Holzgehäuse zum Zug.

Die Forderung nach neuen Proportionen lag in der Luft - die im Hochformat und quadratisch gestalteten Modelle waren nicht mehr gefragt. Unverkennbar war die Tendenz: flacher und breiter sollten 26 die Gehäuse werden - dem Querformat gehörte die Zukunft (vgl. auch die Modelle Philips Hamburg D43 und Aachensuper D46 im Kapitel 3).

 

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Seibt platzierte 1935 in diesem Modell 326 W den Lautsprecher nicht mehr oberhalb der Skala, sondern links neben derselben. So ergab sich das moderne Querformat. Unter den Sammlern gilt dieser Seibt, der von ihnen „Sanssouci" oder auch „Beichtstuhl" genannt wird, als ein besonderer Leckerbissen.

 

 

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