1.1 Wie es zum Funk und zum Radio kam
Die „Goldenen Zwanziger“ waren so ungetrübt golden nicht nur. Der Erste Weltkrieg hatte schließlich seine Wunden hinterlassen. Weil aber in der Regel wenige Jahre nach einem Krieg – auch wenn’s ein verlorener war – ein neuer Aufschwung in Sicht ist, konnte sich auch in Deutschland und vor allem in Berlin eine neue Hochstimmung entfalten, die trotz Inflation und partieller Armut zu einem Lebensstil führte, in dem die Vergnügungssucht den Mittelpunkt bildete. Und in diese Zeit fiel die Geburt des Radios.
Der geniale James Clerk Maxwell erdachte das Grundsätzliche, Heinrich Hertz bewies es: Elektromagnetische Wellen dienten nicht nur der Ausbreitung des Lichts, es gab auch unsichtbare „Strahlen elektrischer Kraft“, die sich im freien Raum ausbreiten konnten.
Der Nachweis war gelungen, daß hochfrequente elektrische Stromstöße ausgesandt, und mittels eines Empfänger Schwingkreises wieder aufgenommen werden konnten. Ein interessantes physikalisches Experiment, meinten die Wissenschaftler und stellten neugierig – wie Wissenschaftler eben sind – weitere Versuche an. Eine wirtschaftliche Verwertung kam ihnen nicht in den Sinn.
Auch Guglielmo Marconi, kein Wissenschaftler, experimentierte und glaubte im Gegensatz zu den Fachkompetenten unbeirrt daran, daß mit der Funktechnik Geld zu verdienen sei. Er sollte recht behalten. Marconis Heimatland Italien jedoch zeigte für das rätselhafte Verfahren mit seinen scheinbar zufallsbedingten Erfolgen ebensowenig Interesse wie etwa Popows Heimatland Rußland. Auch Nikola Tesla zählt zu den bedeutenden Erfindern, deren Prophezeiung einer Funkentelegraphie in das Land der Phantasie verbannt wurde. In England war es Oliver Lodge und hierzulande Ferdinand Schneider, der kein Gehör fand. Die Auskünfte von Wissenschaftlern, die dem drahtlosen Funkverfahren nur geringe Reichweiten zubilligten, waren nicht dazu angetan, den Staatshaushalten Finanzmittel für die Entwicklung zu entlocken.
Weil der Prophet im eigenen Lande nichts gilt, blickte der unbeirrbare Marconi über die Grenzen. Es war die Seemacht England, genauer: der Leiter des dortigen Telegraphenwesens Sir William Preece, der sich des Erfinders Sende.- und Empfangsanlage vorführen ließ. Gerade von ihm war ein so großes Interesse an der neuen Technik eigentlich nicht zu erwarten, meinte er doch: „Die Amerikaner brauchen vielleicht das Telefon, wir aber nicht. Wir haben sehr viele Eilboten“. Indes – Marconis Funksystem bediente sich des Morsealphabets – das war ihm anscheinend sympathischer.
Nachrichten von Kontinent zu Kontinent zu übertragen, war schon mittels transatlantischer Kabel möglich; aber die Verständigung mit Schiffen, das würde man sich etwas kosten lassen, auch wenn man zunächst nur an küstennahe Funkverbindungen glauben wollte. 1896 zeichneten sich die Erfolge ab, von denen der 22 jährige Italiener seit zwei Jahren geträumt hatte – von nun an ging’s bergauf. Auch deutsche Wissenschaftler wurden jetzt hellwach, besichtigten 1897 eine Experimentalvorführung Marconis und machten sich sogleich an die Arbeit. Das Funksystem „SlabyArco“ war das Ergebnis und wurde zur Konkurrenz des inzwischen weltweit etablierten Marconi Systems.
In den Folgejahren wurden die großen Schiffe mit Funken Sende und Empfangsanlagen ausgestattet. Man experimentierte mit Flugzeug und Zeppelin Funkeinrichtungen und das Verfahren sollte militärische Bedeutung erlangen. Die Erfinder kamen nicht mehr zur Ruhe, verbesserten die Funkensender, schufen das Lichtbogenverfahren und bauten schließlich riesige Generatoren und Hilfsgeräte zur Erzeugung hochfrequenter Ströme im Langwellenbereich. Bald war die Erde mit einem Sender und Empfängernetz überzogen. Den deutschen Bürger interessierte dies alles nur am Rande.
Wenn etwa ein Junge sich wünschte, als Beruf Funker oder Funktechniker zu werden, wurde er in der Regel vom Vater dazu ermahnt, doch lieber etwas Vernünftiges zu erlernen. Die Funktechnik wurde eher dem Bereich der Alchimie zugeordnet. Private Funk Experimente waren ohnehin strengstens verboten! Nicht nur das Senden, auch der Empfang. Und so sollte es bis 1923 bleiben.
"Der Deutsche Rundfunk", Febr. 1924: "Rundfunk als Scheidungsgrund"
In Amerika gab es solche Verbote vorerst nicht. Warum nicht ein Geschäft daraus machen – dachte man dort – und so schossen die Sender wie Pilze aus dem Boden. Nun wollte man die technischen Voraussetzungen dafür schaffen, solche Sender mit Sprache bzw. Musik zu modulieren. Das war zwar schon 1906 gelungen, mit den damaligen Sendesystemen aber sehr mangelhaft. Erst der „Röhrensender“ brachte den Durchbruch.
Im Ersten Weltkrieg waren zwar noch viele Funkensender und Detektorempfänger im Einsatz, man entdeckte aber schnell die Vorteile der Röhre. Die für alle drei Waffengattungen unentbehrlich gewordene Funktechnik ermöglichte die Verständigung, welche mitunter über Sieg oder Niederlage entscheidend werden konnte.
Wie die „Funkschau“ im Heft 41/1935 berichtete, ging in den Staaten die erste röhrenbestückte „Rundfunkstation“ 1920 auf Sendung. Im gleichen Jahr offerierte Westinghouse in der „Pittsburgh Sun“ die ersten Radiogeräte für Heimempfang zu Preisen ab 10 Dollar.