8.17 Integrierte Schaltungen. Drohende Gefahren – nicht nur aus Japan
In den 1960er Jahren waren nicht nur die Vorstandsetagen deutscher Rundfunkanstalten von Krise betroffen, sondern auch im Silicon Valley herrschte eine Krisenstimmung. Viele Firmen hatten sich darauf konzentriert, Geld mit Transistoren zu verdienen, aber der Absatz konnte nicht unbegrenzt gesteigert werden. Die Überproduktionen, die durch rationelle Fertigungsmethoden entstanden waren, führten zu einem Preisverfall. Der Transistor, der die aufwändige Röhren-Triode ersetzen konnte, wurde zu einem billigen Massenartikel.
Auch der MOS-FET mit Tetrodenfunktion konnte diesen Trend nicht umkehren. Bereits 1960 war man in japanischen Transistorproduzentenkreisen der Ansicht, dass die Konjunktur der Transistorindustrie ihren Höhepunkt überschritten habe. Es wurde erwartet, dass in diesem Jahr insgesamt 150 Millionen Transistoren produziert werden, aber die in- und ausländische Nachfrage würde nur etwa 95 Millionen betragen. Außerdem hatten sich Lagerbestände von 14 Millionen Transistoren angesammelt.
Es musste also etwas Neues erfunden werden. Die Erfinder konnten sich nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen. So gelang es schließlich den Amerikanern Kilby und Noyce im Jahr 1959, mehrere Transistorfunktionen sowie passive Bauteile in ein gemeinsames Siliziumplättchen einzubetten. Das war der Beginn der integrierten Schalttechnik, die zunächst vor allem der digitalen Rechentechnik diente, insbesondere in der Raumfahrt. Viele Jahre später kam die neue Technik auch ins Radio. Auf der Hannover Messe 1966 überraschte SEL die Fachwelt mit einem Prototyp, der in der Fachpresse ausführlich beschrieben wurde.
Schließlich war es jedoch Philips, die erste europäische Firma, die 1967 hierzulande das mit zwei integrierten Schaltkreisen bestückte Taschenradio IC 2000 (Durchmesser ~ 70 mm) anbieten konnte.
Aus einem Bericht im „Funkschau“, Heft 10/196
Im Jahr 1967 galt der Philips IC 2000 als ein Wunderwerk der Technik und das Innenleben dieses kleinen Empfängers mit einem Durchmesser von rund sieben Zentimetern wird auch heute noch bestaunt.
Es vergingen weitere Jahre, bis der IC nach und nach Wurzeln schlagen konnte. Im Jahr 1970 konnte man im Philips-Rundfunkempfänger-Programm unter 26 Geräten nur ein Modell finden, in dem ein derartiger Schaltkreis eingebaut war: das Taschengerät Fanette IC 100. Bei den sonstigen Fabrikaten des Modelljahrs 1970/71 blieb der IC bzw. die "Integrierte Schaltung" ebenfalls noch die Ausnahme.
Die integrierte Schaltung TBA 570, die im Telefunken-Partner Spezial 101 von 1973 eingebaut wurde, ersetzte unter anderem drei herkömmliche Röhren mit mehreren Verstärkerfunktionen (ECH 81, EF 89 und EABC 80). Sie übernahm die Aufgabe einer Oszillatorschaltung, einer Mischstufe, eines AM/FM-ZF-Verstärkers und einer AM-Demodulatorstufe. Der Baustein bestand aus 25 Transistoren, 5 Dioden, 31 Widerständen und einem Keramik-Kondensator.
Um die Mitte der Siebziger gab es nur noch wenige Geräte, die ohne die Verwendung von "Integrierten" arbeiteten. Eines dieser Geräte war der Grundig RTV 1040 HiFi (1974/75), der mit 185 Transistoren und 97 Halbleiterdioden bestückt war. Modelle mit integrierten Schaltkreisen kamen mit weniger Transistoren aus, aber die Bestückung des Elac HiFi-Quadrophonie-Receivers 5000 T (der wie alle anderen Elac-Geräte aus dem Hause Körting stammte) war ebenfalls nicht gerade bescheiden: Er verfügte über 155 Transistoren, 8 integrierte Schaltungen und 146 Halbleiter.
Das transistorisierte Stereo-Decoder-Einbauteil im SABA Freudenstadt 18 aus dem Jahr 1966 hatte eine Größe von etwa 73 x 90 mm.
Im Vergleich dazu hatte die oben abgebildete integrierte Schaltung natürlich eine viel kleinere Größe. Im August 1971 veröffentlichte die "Funk-Technik" in Ausgabe 15 einen Aufsatz über "Integrierte Schaltungen für Stereo-Decoder" mit einer vergrößerten Aufsicht der Schaltung. Fünf Jahre später, im Jahr 1976, war der Silizium-Chip mit der integrierten Schaltung ULN 2121 A winzig und maß nur 1,3 mm x 1,3 mm.
Der Loewe Quadrophonie-Receiver QR 320 aus den Jahren 1974/75 hatte eine Bestückung mit "nur" 143 Transistoren und 92 Halbleiterdioden, da er bereits mit 14 integrierten Schaltkreisen ausgestattet war. Es ist unklar, ob diese Modelle hinsichtlich ihrer Bestückung bereits Grenzfälle darstellten. In der zweiten Hälfte der Siebziger wurde es albern, die Bestückung weiterhin in Katalogen aufzuführen, da unklar blieb, welche Funktionen in den einzelnen Schaltkreisen enthalten waren. Für die Radioentwickler war der Einbau der "Integrierten" zunächst eine Erleichterung, später jedoch wurden sie nachdenklich, da die Chips so viel integrierten, dass sie von Personen zusammengesetzt werden konnten, die weder das nötige Wissen noch die Erfahrung im Labor hatten, wie es in deutschen Radiowerken vorausgesetzt wurde.
Aufgrund der Inlands-Vertriebsbindung mit Neckermann war Körting bis 1972 nicht in den Großhandelskatalogen vertreten und versuchte daher über den Namen der in Körting-Besitz befindlichen Firma Görler in Brühl bei Mannheim wieder mit dem Handel ins Geschäft zu kommen. Das Studio 2002 von Körting wurde mit Transistoren und integrierten Schaltungen ausgestattet, wie in der "Funkschau" im Heft 20/72 berichtet wurde.
Im Zuge der fortschreitenden Halbleitertechnik erkannten die Asiaten die wirtschaftliche Bedeutung des Silicon Valley und begannen zunächst mit untergeordneten Arbeiten für die Amerikaner. Silizium-Halbfabrikate wurden in Billiglohn-Länder wie Korea und Taiwan zur Weiterbehandlung versandt, wo sie in Chips zerlegt, einbaufertig montiert und abschließend geprüft wurden. Nach dieser arbeitsintensiven Herstellungsphase wurden die Fertigteile wieder zurück nach Amerika verschifft.
Bereits in den 1950er Jahren hatten die Länder der aufgehenden Sonne erkannt, dass sie genügend Fachkräfte ausgebildet hatten, um eigene Produktionen zu planen. Sie kopierten amerikanische Produkte, aber perfektionierten auch Verfahrenstechniken und arbeiteten mit großer Genauigkeit und Zuverlässigkeit. So konnten sie die Amerikaner schnell übertreffen und wurden weltweit führend in der Produktion von technologischen Gütern.
Obwohl sie ihre Fähigkeiten auch durch illegale Mittel erweitert haben könnten, nutzten sie hauptsächlich die Förderung durch ihr "MITI" - das Ministerium für Internationalen Handel und Industrie -, um die Früchte der Entwickler aus New Jersey (Bell) und Kalifornien (Silicon Valley) zu ernten und auf dem Weltmarkt zur Nummer eins zu werden.
Professor Hans Queisser hat in seinem Fachbuch "Kristallene Krisen" die Geschichte der Mikroelektronik sehr gut dargestellt. In diesem Buch kann man auch lesen, wie es den Japanern schließlich gelungen ist, ihre wirtschaftliche Vormachtstellung zu erringen und zu festigen. Die Amerikaner waren sehr unzufrieden - bereits 1970 befand sich die gesamte Elektronikindustrie in einer Krise. Die Zeitschrift "Funkschau" berichtete in ihrer Ausgabe 21/1970 über drastische Umsatzrückgänge und massive Entlassungen von Arbeitnehmern.
Notiz aus der „Funkschau“, Heft 9/1971
In Deutschland wurde die "japanische Gefahr" lange nicht ernst genommen, obwohl der Markt mit billigen importierten Taschengeräten überschwemmt wurde. Die Bundesregierung glaubte sogar, dass 1969 ein gutes Jahr war und erwog konjunkturdämpfende Maßnahmen. Telefunken warnte jedoch vor der Sperrung von Haushaltsmitteln für Forschung und Entwicklung, da die deutsche Funkindustrie den neuesten japanischen Entwicklungen hinterherhinkte. Deshalb wurden geheime Verhandlungen zwischen Telefunken und Hitachi geführt, die schließlich 1970 zu einem umfassenden "Patentaustausch- und Know-how-Vertrag" führten.
Die Japaner waren insbesondere an dem PAL-Verfahren interessiert, das Telefunken beherrschte, und man einigte sich darauf, dass nur Fernsehgeräte mit kleinen Bildschirmen (max. 18 Zoll) hergestellt werden durften, die in Europa zunächst wenig gefragt waren. Allerdings wurden später auch anderen Unternehmen wie Matsushita Lizenzen erteilt und andere fanden Wege, die Telefunken-Patente zu umgehen. Dadurch wurde der Fernost-Konkurrenz Tür und Tor geöffnet und nicht mehr nur billige Taschenradios wurden produziert, sondern auch Geräte, die mit integrierten Schaltkreisen ausgestattet waren.
Allein der technologische Vorsprung der deutschen Rundfunkwerke reichte nicht aus, um eine erneute Krise zu verhindern. Es waren die niedrigen Löhne und die preiswerten japanischen Produkte mit ihrem neuen Technik-Look, die viele Käufer anzogen. Die deutschen Geräte waren zwar technisch den japanischen in den 70er Jahren noch überlegen, aber Gehäuse, die mit Plastikfolien (Holzimitationen) verkleidet waren, passten nicht mehr in die Zeit. Ein modernes Design zum richtigen Zeitpunkt wurde verpasst. Die Japaner gewannen dadurch immer mehr Marktanteile und die Produktion von deutschen Heimradios ging kontinuierlich zurück.
Laut einer Statistik in der "Funkschau", Ausgabe 23 vom Dezember 1971, wurden im September 1970 noch 150.465 Heimempfänger produziert, im September des folgenden Jahres jedoch nur noch 89.625.
Wie Michail Gorbatschow sagte: "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben." Auch andere Branchen wie die optische Industrie (Fotografie), Büromaschinen- und Motorradindustrie konnten nicht mit den wettbewerbsfähigen Preisen der asiatischen Produkte mithalten und selbst die Automobilwerke waren besorgt. Doch zunächst lief es gut für die Farbfernsehgeräte, die in den Jahren 1967/68 nur zaghaft verkauft wurden. In den Jahren 1969/70 lagen sie jedoch voll im Trend und die "Funkschau" berichtete in ihrer Ausgabe 22/1970 von einer "glänzenden Umsatzentwicklung". Vorübergehend fielen nur die Preise für Halbleiter stark und vereinzelte Kurzarbeit in verschiedenen Betrieben trübte die Stimmung am Jahresende etwas.
Aus der „Funkschau“, Heft 14/1970
In Europa konnte man schon damals ahnen, dass es Europa ähnlich wie den USA ergehen würde. Doch ein weißes Wölkchen am Horizont wurde kaum beachtet und in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre entwickelte es sich zu einer bedrohlichen, schwarzen Wolke. Die französische Firma Thomson-Brandt kündigte an, auf dem deutschen Markt Fuß fassen zu wollen.
1970 war Thomson noch kein bedeutender Konkurrent
Der Abstieg begann 1971. Schon im Januar sanken die Preise für Farbfernsehgeräte um ein Viertel und im Februar meldeten die Markenfirmen Kurzarbeit an (siehe "Funkschau", Ausgabe 4/1971). Die Umsätze brachten kaum noch Gewinne, und Max Grundig hätte sich gefreut, wenn er 1970 die Hälfte des Umsatzes von 1969 erzielt hätte. Telefunken sanierte sich bereits durch den Verkauf von PAL-Lizenzen nach Japan (siehe "Funkschau", Ausgabe 7/1971).
Zunächst bereiteten vor allem Schwarzweiß-Geräte Sorgen. Die importierten billigen Fernsehgeräte waren teilweise schuld an den ruinösen Zuständen in deutschen Rundfunkwerken. Die Produktion von Taschenempfängern wurde ebenfalls aufgegeben. Wenn solche Modelle noch mit deutschen Markennamen in den Katalogen erschienen, handelte es sich um Fernost-Fabrikate.
Die Mitarbeiter von AEG-Telefunken hätten sagen können: "Im Jahr 1970 ging es uns noch gut", als sie gegen diese Meldung (aus der "Funkschau", Ausgabe 19/1970) dennoch Lizenzen nach Japan verkauften...
Siemens, AEG und BBC forderten Staatsbeihilfen, da es der deutschen Industrie nicht mehr möglich war, aus eigenen Mitteln in der ganzen Breite und Tiefe der Bauelementetechnik tätig zu sein, wie in der "Funkschau" Ausgabe 10/1971 zu lesen war. In derselben Ausgabe schrieb Karl Tetzner in seinem Bericht über eine Pressekonferenz auf der Hannover Messe: "Wer seine Freude an ungehemmter Konkurrenz hat, konnte zufrieden sein; wer jedoch an die Krise der bundesdeutschen Unterhaltungselektronik denkt, blickte besorgt in die bunte Runde.
Der zum Teil weit fortgeschrittenen Verdrängung der deutschen Geräte vom Weltmarkt folgt nun die Kampfansage im eigenen Haus."
Freude kam allenfalls noch in Händlerkreisen auf. 500 Expert-Händler aus sechs europäischen Ländern trafen sich im mondänen Kurort Davos. Oft wurde an den Umsätzen asiatischer Erzeugnisse mehr verdient als an den deutschen Fabrikaten. Sony steigerte seinen Europa-Export im japanischen Fiskaljahr 1971 um 64%, wie in der "Funkschau" Ausgabe 12/1971 berichtet wurde. Karl Tetzner klagte auch in seinem Bericht vom Juli 1971 über hohe Bestände an (deutschen) Farbfernsehgeräten, Exportprobleme und wachsende Einfuhren. In einem Aufsatz mit dem Titel "Die nackte Not - oder: mit dem Rücken an der Wand" beschrieb er die prekäre Situation der deutschen Industriebetriebe in der "Funkschau" Ausgabe 18/1971.
Die Löhne und die Kosten für zahlreiche Gebrauchsgüter stiegen an, nur die Preise für Geräte der Unterhaltungselektronik stagnierten im Minusbereich, wie in der Grafik aus der "Funkschau" Ausgabe 17/1972 zu sehen war.
Nur die Einkaufsgenossenschaften verzeichneten steigende Umsätze, während die Interfunk-GmbH einen Anstieg von 50,9% verzeichnete. Die Zeitschriften berichteten über Gewinnrückgänge bei Philips und Preisverfall. Die 70er Jahre begannen schlechter als die 60er endeten. Saba war noch optimistisch, erhöhte das Stammkapital und steigerte im ersten Halbjahr 1972 den Umsatz ihrer Farbfernsehgeräte um 20%. Die Aussichten für die kommenden Jahre waren jedoch nicht ermutigend. Laut AEG-Telefunken würden die Importe bis 1975 bei Kofferempfängern 65%, bei Heim-Monoempfängern 100% und bei Stereogeräten 30% betragen. Bei Schwarzweiß-Fernsehgeräten wurde ein Importanteil von 85% und bei Farbgeräten von nur 17% prognostiziert.
Die Prognosen von Telefunken sollten sich bewahrheiten. Am Ende blieb in den deutschen Rundfunkwerken im Wesentlichen nur noch die PAL-Fernsehgerätefabrikation übrig. Andere Geräte der Unterhaltungselektronik, einschließlich Radios, wurden größtenteils von ausländischen Herstellern in Billiglohn-Ländern produziert. In der Funkschau-Ausgabe 18/1972 wurde bereits über die ersten japanischen Farb-Portables von Sony, National und Hitachi berichtet, die über eine vollgültige PAL-Lizenz verfügten. Die Umsatzverluste von Telefunken waren nun die Folge des PAL-Deals. Die PAL-Fernsehgeräte waren zuvor Deutschlands Stärke gewesen und hatten den europäischen Umsatz gegenüber dem Vorjahr um 75% gesteigert. Nun rückte das Ende des "PAL-Glücks" näher.
Der Artikel aus der "Funkschau", Ausgabe 7/1973, berichtet darüber, dass Japan jetzt auch in die Farbfernseh-Sparte vorgedrungen ist, nachdem sie zuvor nur Rundfunkgeräte, Koffer- und Taschenradios sowie Schwarzweiß-Fernsehgeräte angegriffen hatten. Obwohl es vorerst nur um Portables ging, begannen sich die verkauften Lizenzen bereits auszuwirken. AEG-Telefunken konnte sich zumindest damit trösten, dass ihre PAL-Lizenzeinnahmen einen zweistelligen Millionenbetrag erreicht hatten (siehe "Funkschau", Ausgabe 15/1973). Trotzdem wurde im Bericht darauf hingewiesen, dass dieser Markt nun preislich verdorben sei.