4. Kapitel - Chroniken österreichischer Radiofirmen mit kommentierten Bildbeispielen aus der sogenannten „Ostmark-Produktion" von 1938 bis 1939
Der Inhalt dieser Buchreihe konzentriert sich auf deutsche Radio- und Firmengeschichten und dementsprechend auf Empfangsgeräte deutscher Herkunft. Weil jedoch durch die 1938 erfolgte Angliederung Österreichs an das deutsche Reich die dort gefertigten, so genannten „Ostmark-Radios" zur Palette der deutschen Empfängerproduktion gezählt und 1938 - 39 in die WDRG-Kataloge eingegliedert wurden, sollen auch Informationen über deren Hersteller nicht fehlen.
Österreich war kein „Telefunken-Land"
In Deutschland durften nur Radios mit „Telefunken-Bauerlaubnis" hergestellt werden und Telefunken hatte dafür gesorgt, dass ausländische Geräte nicht auf den deutschen Markt kommen konnten. In Österreich war das nicht so. Unter dem Titel „Die harte Stellung der österreichischen Rundfunk-Industrie" stellte die Zeitschrift „Bastelbriefe der Drahtlosen" im Mai 1939 fest: „ Österreich gehörte bisher patentrechtlich nicht zum Deutschen Reich. Dort hatte eine Hand voll Gerätefabrikanten in hartem Wettstreit um den Markt des kleinen Landes und darüber hinaus auch um einen Platz auf den Absatzmärkten anderer Länder zu kämpfen. Die österreichische Rundfunkindustrie stand also nicht hinter dem schützenden Wall einer beherrschenden Patentinstitution, sondern war durchaus allen Einflüssen preisgegeben, die der Weltmarkt in positiver wie in negativer Hinsicht mit sich bringt. Das Ergebnis dieser eigenartigen Stellung der österreichischen Rundfunkindustrie, deren Export lebensnotwendig war, ist für den Außenstehenden verblüffend. Fünf kleine Empfängerfabriken mit beschränkten Mitteln konnten sich gegen die erdrückende amerikanische Konkurrenz nicht nur behaupten, sondern der Export dieser fünf kleinen Werke kommt dem gesamten Export aller deutschen Rundfunkfabriken gleich".
Österreich wird zur „Ostmark" des deutschen Reichs
Irgendwie schien die deutsche Radioindustrie die Qualitätsgeräte aus Österreich zu fürchten. Die Zeitschrift „Das Rundfunk-Gerät" lobte in der November-Ausgabe 1938 die „ostmärkischen" Radios unter dem Titel „Edel in Form und Ton" und hob besonders die gut entwickelten Kurzwellenteile hervor. Man ließ Vorsicht walten und verfügte (auch im Hinblick auf die bisherigen österreichischen Exporterfolge) eine Mengenbeschränkung. Nur 30 000 Geräte durften ins „Altreich" geliefert wer den. Die Befürchtungen und Limits erledigten sich durch den Krieg — ein Jahr später sprach niemand mehr von „Konkurrenz".
Grüße an Wien und dem befreiten Oesterreich
Die Freude der deutschen Kaufleute über das Befreiungswerk des Führers und die nun beginnende Gemeinschaft mit ihren Berufskameraden im ganzen Reich kommt in schriftlichen und mündlichen Bekundungen immer wieder zum Ausdruck. So haben der Oesterreichische Handelsbund und die Buchkaufmannschaft Wien telegraphisch dem Leiter der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel, Dr. Franz Hayler, brüderliche Grüße übermittelt. Im Namen der Wiener Einzelhandelskaufleute hat ferner der Kaufmann Walter Kratochwil folgendes Telegramm an Dr.Hayler gerichtet: „Die historischen Tage der österreichischen Schicksalswende tiefbewegt miterlebend grüße ich herzlichst unseren Leiter und Kameraden Dr.Hayler mit seinen Mitarbeitern. Heil Hitler." Ueber alle künstlich aufgerichteten Schranken hinweg haben die deutschen Kaufleute Oesterreichs stets mit den Berufsorganisationen des Reichs die Verbindung aufrechterhalten. Jetzt ist der Weg hier zu einer wirklichen Gemeinschaft frei. In gleichem Sinne schreibt die „Rheinisch-Westfälische Zeitung" aus Anlaß des bekanntgegebenen Telegramms von Dr. Hagleran die deutsch-österreichischen Kaufleute, daß „bald die Zügellosigkeiten des Wettbewerbs auch in Deutsch-Österreich der Vergangenheit angehören werden, und daß sich auch der österreichische Kaufmann befreit fühlen wird, wenn aus dem Gegeneinander und Durcheinander ein geschlossener, sich für seine Arbeit einsetzender Berufsstand geformt worden ist".
Aus: „Der Radio-Händler". Die im März 1938 erfolgte „Eingliederung ins deutsche Reich" wurde in Wiener Handelskreisen begrüßt.
Bei aller Euphorie — es gab auch Probleme. Mit der Rundfunkindustrie mussten u. a. Fragen geklärt werden, die sowohl den Vertrieb betrafen, als auch die Röhrenbestückung der in Österreich gefertigten Geräte. Hierzu ein Auszug aus dem WDRG-Handbuch 1938-39: „ Mit der Rückgliederung Österreichs wird auch dort die deutsche Marktordnung und die organisatorische Erfassung der Rundfunkhandelskreise durchgeführt. Die hochwertige österreichische Rundfunkgeräteproduktion wurde in erheblichen Mengen zur Ausfuhr gebracht. Sie betrug 1937 fast 30 Millionen Reichsmark, während die Ausfuhr des Reichs im selben Zeitraum 33,5 Millionen ausmachte. Das durch den Wirtschaftsminister genehmigte Abkommen zwischen der Deutschen und Österreichischen Industrie sieht eine Übergangsfrist von einem Jahr vor. In dieser Zeit werden die organisatorischen, patentrechtlichen und sonstigen Schwierigkeiten der Einbeziehung des österreichischen Wirtschaftsraumes in den Großdeutschlands überwunden sein. Bereits die Rundfunkausstellung 1938 sieht auch die deutschen Firmen Österreichs in gemeinsamem Wettbewerb mit den Firmen des Altreiches.
CC Die patentrechtlichen Schwierigkeiten bezogen sich in erster Linie auf die Röhren. Philips hatte die meisten österreichischen Radioproduzenten fest im Griff und deshalb gab es kaum ein Gerät, das 1937/38 nicht mit „roten" Röhren bestückt war. Das empfand Telefunken als Stachel im Fleisch und drängte darauf, dass dieser Zustand schnellstens geändert würde. Nur 1938 wurden die „Roten" noch geduldet, 1939 mussten sie — in den Geräten für den Inlandsbedarf — allesamt durch Telefunken Stahlröhren ersetzt sein. Weil nun aber in der „Ostmark" viele, mit roten Röhren bestückte Geräte im Betrieb waren, die mitunter auch ins alte Reich gelangten, musste sich Telefunken damit abfinden, dass die ungeliebten Philips-Typen als Ersatzröhren auch in die deutschen Radiogeschäfte gelangten. Hatten denn die österreichischen Radiofabrikanten gar keine Vorbehalte? Fürchteten die nicht, dass nun ihr Land mit Radios aus dem Altreich überschwemmt werden könnte? Anscheinend überhaupt nicht.
Inserat aus: „Der Radio-Händler" vom August 1938. Unglücklich schienen die Österreichischen Radiofirmen über die Eingliederung gar nicht zu sein. Kapsch sprach von der „geschichtlichen Tat unseres Führers". Und Nikolaus von Eltz grüßte in der 13,5 x 19 cm großen Annonce mit „Heil Hitler!"...
Alle Radios kamen aus Wien
Wenn man von österreichischen Radiofirmen spricht, könnte man ebenso von Wiener Firmen sprechen. Alle sieben 1938 existierenden Firmen hatten ihren Sitz in der Hauptstadt — eine harmonische Verbindung der Musikmetropole mit dem Rundfunk. Dass der erste Sender des Landes dort installiert wurde, versteht sich von selbst: Das Telegrafenbauunternehmen von Czeija, Nissl & Co. nahm am 1. April 1923 einen 100 Watt-Sender von der „Western Electric" in Betrieb; er „funkte" auf Welle 600 m. Nach Versuchssendungen begann am 8. September, anläßlich der Wiener Herbstmesse, die regelmäßige Ausstrahlung. „Radio Hekaphon" löste in Wien das Radiofieber aus — am 1. Oktober 1924 übernahm die „Österreichische Radio-Verkehrs-AG" (RAVAG) mittels eines 350 Watt-Senders von Telefunken den Sendebetrieb. Und — wie könnte es anders sein — auch das „Erste Österreichische Funk- und Radiomuseum" residierte bis zu seiner Auflösung in Wien.
Weil Österreich nach dem Krieg wieder ein souveränes Land wurde, und in dieser Chronik nur deutsche Radiofirmen dokumentiert sind, wurde das Nachkriegs-Geschehen in den sieben Wiener Radiofirmen in die nachfolgenden Chroniken einbezogen.